Musical „Störtebeker - Gottes Freund und aller Welt Feind“
„Hört ihr Leut' und lasst euch sagen, des Störtebekers letzte Stunde hat geschlagen.“ Sicherlich hätte der Nachtwächter von Bergen nur zu gern einmal diese Zeit angesagt.
Am 22. und am 23. Juni dieses Jahres trieb jedenfalls Störtebeker, unter der Leitung von Martin M. Seifert, sein Unwesen an der Heinrich-Heine-Schule in Büdelsdorf.
Begleitet von der Schulband und einem fähigen Team im Hintergrund unterhielt die Musical-AG an zwei Abenden mit einer beklemmenden, doch immer mal wieder lustigen Geschichte aus dem Leben des Freibeuters. Dass das Erzähltempo dabei zeitweise etwas langatmig geriet, ist verzeihlich und wohl den häufigen Umbaupausen geschuldet. Dennoch erhielt das Konfliktpotential des Stückes die Möglichkeit sich zu entfalten: Der Sohn eines Hansekaufmannes und Feindes von Störtebeker wird von eben diesem gerettet. Auch die zeitgenössische Gesellschaft der Stadt Hamburg kommt zu Wort, hasst oder liebt Störtebeker. Vor allem jedoch ist dieses Musical eine Gesellschaftskritik par excellence. Kaum einer hilft dem Armen, der, auf der Straße sitzend, von der Gesellschaft verachtet und verspottet wird. Niemand achtet auf das Leid, das erst zu Verbrechen und Hass führt. So wird Störtebeker, wie schon so oft, auch in diesem Musical zum Märtyrer, der sich über das Recht stellt, um es zu ändern und um zu überleben.
Die Hanse tritt als ein Verein selbstherrlicher, menschenverachtender und arroganter Gierschlünder in Erscheinung. Man will immer mehr und mehr Reichtümer und ja nicht teilen, verachtet die einfachen Leute und lacht selbst über diejenigen von ihnen, die unter der Piraterie ebenfalls leiden. So kommentiert ein hanseatischer Ratsherr mit folgenden Worten die Schilderung des Überfalls auf Bergen und das Einsperren eines Nachtwächters in eine Tonne: „Gar keine schlechte Idee, wäre endlich mal Ruhe nachts.“ Zugegeben: Es mag lustig sein, doch es zeigt deutlich die Verachtung.
Generell gab es einige humoristische Lichtblicke in diesem doch recht dunklen Stück. So ist zum Beispiel eine Kneipenszene der Seeräuber derart trocken und langweilig, dass sie umwerfend komisch ist. Generell sind die Seeräuber offenbar ein feierlustiger Verein, bewahrt dabei jedoch eine herrlich norddeutsche Ruhe. Sogar der Sängerkrieg wird von ihnen wohl als Rückblick auf das letzte Musical hochleben gelassen.
Stilistisch verwendet das Musical einige sehr schöne Mittel. So wird die gespenstische Eingangsszene, in welcher verschiedene Sprecher ihre Meinung über Störtebeker kundgetan haben und dabei auf der ansonsten dunklen Bühne ihr Licht brennen ließen, vor der Hinrichtung Störtebekers wiederholt, gefolgt vom Hamburger Stadtgespräch und der Missachtung oder Fehlinterpretation der Menschlichkeit.
Die Musik ihrerseits schaffte es stets auch eben die Stimmungen im Saal zu kreieren, die für das Stück gewünscht und erforderlich waren, auch wenn nicht alle Töne im Gesang stimmten oder die Lautstärke mitunter ungünstig ausgesteuert war.
Auch die Kostüme waren sehr ansprechend gestaltet und halfen, eine Übersicht über die Position ihrer Träger im Musical zu erlangen. Die Bühnenausstattung war praktisch und ansprechend und die Verwendung von Störtebeker-Bierkisten war ein gelungenes Unterhaltungsmoment. Zudem halfen Bier- und Obstkisten bei der Orientierung, ob man sich gerade bei der Hanse oder den Piraten befand.
Obwohl einige Darsteller etwas träge wirkten und trotz der vielen mit „Fluch der Karibik“ übertönten Umbaupausen ist das Stück also im Großen und Ganzen ein Erfolg mit tollen Darstellern, tollem Team und toller Musik.
Besonders wichtig fand ich die Botschaft des letzten Liedes, dass ein zweiter Blick unbedingt lohnt, wenn man jemanden/etwas beurteilen möchte, da jeder und alles ein zweites Gesicht hat. Und auch wenn danach ein kleiner logischer Fehler folgt, da der Vater wohl irgendwie vergessen hat, dass Störtebeker seinem Sohn das Leben rettete, obgleich er zuvor eben darüber gesungen hatte, ist es ein sehr schöner Moment, als er reuevoll auf die Knie sinkt, als er begreift, dass er dem Mann, dessen Tod er soeben bewirkt hatte, das Leben seines Sohnes verdankt.
Timon Thiemann, Klasse 11 (Juli 2016)